Was ihr vielleicht noch wissen wollt über ...

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Königin Etheldredda und das Porträt auf dem Dachboden

Nach ihrem Sturz in den Fluss unternahm Königin Etheldredda keinen Versuch, sich zu retten – wozu auch? Sie brannte ja darauf, ein ewiges Leben zu beginnen. Sie lag da und spähte hinauf zur Wasseroberfläche, und bald begann sie sich zu fragen, warum sie sich so eigenartig fühlte: irgendwie hohl und nicht ganz da. Mit wachsender Ungeduld beobachtete sie den Boden der königlichen Barke, deren Führer stundenlang wartete und aus Angst, sie zu verpassen, nicht wegzufahren wagte.

Langsam dämmerte Etheldredda, das der Trank ihres Sohnes nicht gewirkt hatte – sie war nichts weiter als ein gewöhnlicher Geist. Nicht ahnend, dass der Trank bis zu einem gewissen Grad doch gewirkt hatte und dass sie ein stofflicher Geist war – denn der Unterschied ist am Anfang schwer festzustellen –, lag sie unter Wasser, beobachtete die sich kräuselnde Oberfläche und geriet langsam in Wut.

Ihre Wut erreichte den Siedepunkt, als Marcellus Pye seine Mutter endlich aufspürte: Dreizehn Tage, nachdem König Etheldredda in den Fluss gefallen und ertrunken war, wurde sie von ihrem Sohn um Mitternacht beschworen und nach oben gerufen. Wie ein Korken aus der Flasche, so schoss Etheldredda aus dem schwarzen Wasser des Flusses und flog, strampelnd und kreischend, durch die frostige Nachtluft. Große Schneeflocken rieselten durch sie hindurch und ließen ihr wässriges Inneres zu Eis erstarren. Sich immer noch widersetzend, wurde sie in einen kleinen versteckten Raum im hintersten Winkel das Palastdachbodens gezogen, wo Marcellus Pye und Julius Pike, der Außergewöhnliche Zauberer, auf sie warteten. Dort, zwischen dem schwarz-roten Gewand des Alchimisten und dem lila Mantel des Zauberers, sah sie das lebensgroße Porträt von sich und ihrem Aie-Aie.

Etheldredda verstand genug von Magie, um zu wissen, was gespielt wurde, aber sie konnte nichts dagegen machen. Da half kein Treten und Beißen, kein Boxen und Kratzen. Julius Pike und Marcellus Pye zogen den stofflichen Geist Etheldreddas in das Porträt, wo sie dem Aie-Aie Gesellschaft leistete, den Marcellus tags zuvor schon gefangen und getötet hatte.

Sie lehnten das Gemälde an die Wand und versiegelten den Raum mit einem Zauber. Und dort blieben Etheldredda und ihr Aie-Aie, bis Silas Heap den Raum fünfhundert Jahre später entsiegelte.

Prinzessin Esmeralda

Als Marcellus Etheldredda in dem Bildnis versiegelt hatte und sicher war, dass ihr Geist Esmeralda nichts mehr antun konnte, reiste er durch den Königinnenweg und überbrachte Esmeralda die Neuigkeit. Im ersten Moment freute sich Esmeralda, dass sie von ihrer Mutter nichts mehr zu befürchten hatte, doch dann kam ihr zu Bewusstsein, dass ihre Mutter tatsächlich tot war. Danach streifte sie lange durch die Marram-Marschen und dachte über ihre Mutter und ihre verschwundenen Schwestern nach. Sie weigerte sich, in die Burg zurückzugehen, und verbrachte ihre Jugendjahre bei Broda. Erst als die Zeit reif war, kehrte sie zurück und nahm ihren rechtmäßigen Platz als Königin ein.

Esmeralda bemühte sich, eine gute Königin zu sein, doch sie konnte nie ganz ihre Nervosität ablegen, die daher rührte, dass sie Königin Etheldredda zur Mutter gehabt hatte. Sie heiratete einen gut aussehenden und sehr soliden Bauern von der Apfelfarm gleich hinter der Einwegbrücke und bekam zwei Töchter namens Daisy und Boo, die später beide Königin wurden, weil Daisy nur fünf Söhne, aber keine Tochter zur Welt gebracht hatte.

Nach der Großen Alchimie-Katastrophe – bei der sie Marcellus sieben Tage und Nächte lang beim Versiegeln der Eistunnel half – litt Esmeralda unter Kopfschmerzen und saß die meiste Zeit bei zugezogenen Vorhängen in dem kleinen Salon im hinteren Flügel des Palastes, während die tüchtige Prinzessin Daisy für sie die Regierungsgeschäfte führte.

Die Kronen

Solange es in der Burg Königinnen gab, hatte die Wahre Krone ihr Haupt geschmückt. Wie es hieß, war sie aus dem schönsten und magischsten Gold gefertigt, das es gab – den von den Aurumspinnen gesponnenen Goldfäden. Mit Sicherheit stammte sie aus der Zeit vor Hotep-Ra, dem Erbauer des Zaubererturms. Doch mit dem Ableben Etheldreddas ging die Wahre Krone verloren und Etheldreddas Prophezeiung wurde wahr – Esmeralda trug nie die Wahre Krone.

Aber Esmeralda war das gleich. Die Wahre Krone war fort? Umso besser. Esmeralda wollte eine funkelnagelneue Krone ganz für sich allein und nach der Mode ihrer Zeit, die zum Überladenen neigte. Esmeralda schlug ihrer Mutter nach, und was Esmeralda wollte, das bekam sie auch. Sie wurde an einem verregneten Mittsommertag im Thronsaal des Palastes gekrönt und besuchte anschließend, eine strahlende Erscheinung mit ihrer neuen Krone, das Drachenboot. Der Drache hob beim Anblick so vieler Diamanten und Edelsteine eine Augenbraue, sagte aber nichts. In der ersten Zeit mochte sich Esmeralda von ihrer Krone nicht trennen und trug sie immer und überall, dann bekam sie einen steifen Hals und musste sie wohl oder übel abnehmen, wenn sie schlafen ging.

Es war diese Krone, mit der sich Jahrhunderte später der Oberste Wächter aus dem Staub machte, sodass für Jenna keine da war – bis die Wahre Krone aus dem Freudenfeuer kullerte und wieder ihre rechtmäßige Besitzerin fand.

Der Aie-Aie

Etheldredda fand den Aie-Aie im Palastgarten, als sie noch ein kleines Mädchen war. Der Aie-Aie war von seinem Schiff geflüchtet, als er merkte, dass der Schiffskoch die Absicht hatte, ihn zum Abendessen zu kochen, als Vergeltung dafür, dass er ihn am Morgen in die Wade gebissen hatte. Am Abend bekam der Koch hohes Fieber und die Besatzung kein Essen. Drei Wochen später starb der Koch – denn der Aie-Aie übertrug mit seinem Biss die Seuche.

Etheldredda kam bald hinter das Geheimnis des Aie-Aie und lernte ihn als eine sehr nützliche Waffe schätzen. Ihre Mutter war über das neue Haustier entsetzt, wagte aber nichts zu sagen, denn Etheldredda (oder Ekel-Dredda, wie sie genannt wurde) wollte den Aie-Aie, und was Etheldredda wollte, bekam sie auch, obwohl sie erst neun Jahre alt war.

Der Aie-Aie war trotz zahlreicher Anschläge auf sein Leben durch Palastdiener ein langlebiges Geschöpf. Etheldredda wurde nachgesagt, sie mache sich aus dem Aie-Aie mehr als aus ihren eigenen Töchtern – was natürlich stimmte.

Blasius Schmalzfass

Blasius Schmalzfass hatte als Kind nicht so geheißen, aber sein richtiger Name war beinahe genauso schlimm: Aloisius Regenschirm! Tiresius Dupont. Sein zweiter Vorname verdankte sich einem Versehen des Standesbeamten, der den Vater des kleinen Aloisius missverstand, als dieser bei der Namensgebungsfeier seine Frau lautstark aufforderte, den Regenschirm von seinem Fuß zu nehmen.

Der junge Aloisius Regenschirm! war ein Einzelkind, das immer alles besser wusste. Als er zehn war, beschaffte ihm die Mutter, die es leid war, sich sagen zu lassen, wie sie seine Strümpfe zu stopfen hatte, im Palast einen Posten als Unterbote des Vierten Sekretärs des Hüters des königlichen Türstoppers. Danach gab es für Aloisius Regenschirm! kein Halten mehr. Er arbeitete sich durch die komplizierte Rangordnung im Palast nach oben, bis er im zarten Alter von vierzehn Jahren selbst Hüter des königlichen Türstoppers wurde.

Mit zwanzig stieg Aloisius Regenschirm! zum stellvertretenden Truchsess Königin Etheldreddas auf, nachdem den eigentlichen Truchsess eine rätselhafte Lebensmittelvergiftung außer Gefecht gesetzt hatte – eine von vielen, an denen er erkrankt war, seit Aloisius Regenschirm! beim allwöchentlichen Abendessen des Palastpersonals neben ihm saß. Der Truchsess kam nie wieder auf die Beine, und so übernahm Aloisius Regenschirm! seinen Posten. Zwar war Aloisius Regenschirm! inzwischen auch unter dem Namen Blasius bekannt, doch erhielt er seinen vollen Spitznamen erst, nachdem er drei weitere Jahre im Übermaß dem Essen im Palast zugesprochen hatte.

Nachdem er Königin Etheldredda geohrfeigt hatte und in panischer Angst aus dem Palast geflohen war, nahm Aloisius Regenschirm! noch in derselben Nacht ein Boot nach Port und verließ die Stadt mit dem erstbesten Schiff, das er fand. Den Rest seiner Tage verbrachte er in einer kleinen Stadt in einem sehr heißen Fernland, wo er tagsüber als Kanalisationsinspektor arbeitete und sich abends damit vergnügte, die zerfetzten Überreste seiner Palastbänder zu bügeln.

Der wahre Zeitspiegel

In alter Zeit gab es viele wahre Zeitspiegel, doch im Laufe der Jahrhunderte gingen sie verloren, wurden zerstört oder fielen – wie der Spiegel des Marcellus – dem Zahn der Zeit zum Opfer. In jenen Tagen, als Marcellus Pye ein vielversprechender junger Alchimist war, existierte keiner mehr.

Marcellus las alles, was er über die Zeitspiegel finden konnte. Dabei lernte er viel. Zum Beispiel, dass man immer ein zusammengehöriges Paar brauchte und dass alles, was mit dem einen geschah, auch mit dem anderen geschah. Oder dass man sich, wenn man nur durch einen ging, an einem Ort wiederfand, an dem es keine Zeit gab, und dass man, um in eine andere Zeit zu gelangen, auch durch den anderen des Paares gehen musste. Doch was er nirgends entdecken konnte, war die geheime Formel der Zeit.

Marcellus wurde besessen von dem Gedanken, diese Formel zu finden, und nach drei Jahren Suche kam ihm ein glücklicher Zufall zu Hilfe. Eines feuchten Winternachmittags, als er eigentlich seine Mutter besuchen sollte, stieß er in einer alten Handschrift, die er ganz hinten im Manuskriptorium unter einem Stapel abgegriffener Bücher fand, zufällig darauf. Er prägte sich die Formel ein und verbrannte die Handschrift über einer Kerze, denn er wollte nicht, dass ein anderer von dem Geheimnis erfuhr. Diesen übereilten Schritt bereute er schon bald, denn die ersten beiden Spiegel, die er baute, funktionierten nicht richtig. Sie beförderten ihn lediglich durch eine feste Wand, was an sich zwar erstaunlich war, ihm aber nicht genügte, denn sein Ziel war es ja, frei durch die Zeit zu reisen.

Marcellus fand trotzdem eine nützliche Verwendung für diese Spiegel. Er verschloss jeden mit einem Zauber, sodass man ihn nur mit seinem magischen Schlüssel öffnen konnte, und setzte ihn in einen prächtigen Goldrahmen. Den einen schenkte er seiner Mutter als Friedensangebot, nachdem sie sich wieder einmal gestritten hatten. Doch Etheldredda machte sich nichts aus dem Spiegel. Sie stellte ihn in ihr Ankleidezimmer und vergaß ihn. Dies war der Spiegel, durch den Septimus gezerrt wurde.

Den anderen gab Marcellus dem Obermagieschreiber des Manuskriptoriums, der ein eitler Mann war und sich mächtig freute, einen eigenen Spiegel zu besitzen – zu jener Zeit ein unglaublicher Luxus. Er ahnte nicht, dass Marcellus ihn dazu benutzte, heimlich in die Hermetische Kammer zu gelangen. Dies war der Spiegel, durch den Jenna, Ullr und Septimus in ihre Zeit zurückkehrten.

Nach dieser Enttäuschung schloss sich Marcellus in seinem Zimmer ein und hypnotisierte sich selbst, bis er sich wieder an jede Einzelheit der Formel für den wahren Zeitspiegel erinnerte – oder es zumindest glaubte. Mit Hilfe eines gewagten neuen Verfahrens verschmolz er ein Spiegelpaar miteinander, und es funktionierte. Der wahre Zeitspiegel war sehr groß, äußerst zerbrechlich – und gefährlich. Nachdem Marcellus ihn in der Großen Kammer der Heilkunst eingebaut hatte, schickte er eine Anzahl von Schreibern hinein, aber keiner kehrte zurück. Nachdem auch sein bester Freund darin verschwunden war, scheute er das Risiko, ihn selbst zu benutzen, und verschloss die Tür.

Marcellus wurde selbstbewusster. Er begann zu experimentieren. Er wollte einen leichten und transportablen Spiegel, mit dessen Hilfe er die Geheimnisse der dunklen Alchimisten in den Landen der Langen Nächte ausspionieren konnte. Nachdem eine bestimmte Zahl von Tagen verstrichen war – einhundertneunundsechzig (dreizehn mal dreizehn) –, stellte er mit Erfolg ein zusammenpassendes Paar Spiegel her. Einen behielt er in der Burg, den anderen schickte er heimlich auf dem Königinnenweg seiner Frau Broda Pye mit der Aufforderung, ihn nach Port zu schaffen. Marcellus reiste nach Port und überwachte persönlich die Verladung des Spiegels auf sein Schiff – doch schon in der ersten Nacht, in der er an Bord schlief, brachte der skrupellose und bis über beide Ohren verschuldete Kapitän den Spiegel wieder von Bord und verkaufte ihn als neuartigen Luxusspiegel an Drago Mills. Nicht ahnend, dass er hintergangen worden war, fuhr Marcellus den weiten Weg in die Lande der Langen Nächte und bemerkte den Betrug erst beim Löschen der Ladung. Wütend kehrte er nach Port zurück, fest entschlossen, sein Eigentum zurückzufordern, musste jedoch feststellen, dass es in Lagerhaus Nummer Neun beschlagnahmt worden war. Alle seine Versuche, den Spiegel wiederzubekommen, scheiterten. Dies war der Spiegel, durch den Jenna, Nicko, Snorri und Ullr sprangen – und den Feuerspei zerbrach.

Der andere Spiegel des Paares, den Marcellus in der Großen Kammer der Alchimie und Heilkunst aufbewahrte, um mit ihm jederzeit in die Lande der Langen Nächte reisen zu können, war nun ohne Nutzen für ihn. Er verstaute ihn verdrossen in einem Schrank. Jahre später gelangte dieser Schrank in den Palast, wo ihn der Unterkoch als Kleiderschrank benutzte. Dies war der Spiegel, aus dem Jenna, Nicko, Snorri und Ullr herauspurzelten, als sie in der Zeit des Marcellus ankamen.

Danach baute Marcellus keine Spiegel mehr. Er beschloss, lieber Gold zu machen – bei Gold wusste man wenigstens, was man hatte.

Hugo Tenderfoot

Hugo sollte Septimus und die Zeit, in der ihm dieser geduldig alles beibrachte, was er über die Heilkunst wusste, niemals vergessen. Nachdem ihn Sir Hereward nach Hause gebracht hatte und seine Mutter über sein Kommen sehr erleichtert gewesen war, wurde Hugo bewusst, dass seine Familie ihn doch gern hatte. Das machte ihn viel selbstbewusster. Als Marcellus Pye ihn dabei ertappte, wie er in einem Heilkundebuch las, obwohl er Türdienst hatte, wurde er nicht etwa zornig, sondern machte ihn zu seinem Lehrling. Hugo wurde ein tüchtiger Arzt – doch auch er vermochte Esmeralda nie von ihren Kopfschmerzen zu kurieren.

Snorris Mutter

Alfrun Snorrelssen entstammte einer uralten Kaufmannsfamilie, und so war sie es gewohnt, dass die Kaufleute alljährlich mit ihren Schiffen in das kleine regnerische Land jenseits des Meeres fuhren. Jedes Jahr nach dem ersten Frost – und der Frost kam in diesen dunklen nordischen Breiten früh – beluden die Kaufleute ihre Schiffe mit Pelzen, Gewürzen, Wolle, Teer und allerlei Krimskrams. Sie kehrten erst lange nach dem Mittwinterfest wieder zurück. Alfrun Snorrelssen wusste immer, wann ihr Olaf zurückkehrte, und wenn die Zeit nahte, fragten ihre Freundinnen immer: »Alfrun, Alfrun, kannst du die Schiffe schon sehen?« Und Alfrun konnte sie immer sehen. Doch in dem Jahr, als Olaf Snorrelssen zum letzten Mal übers Meer fuhr, schüttelte sie nur den Kopf, als ihre Freundinnen fragten: »Alfrun, Alfrun, kannst du die Schiffe schon sehen?« Und als die Flotte der Kauffahrer am grauen Winterhorizont auftauchte, schüttelte sie immer noch den Kopf, diesmal jedoch vor Verzweiflung, denn sie wusste, dass ihr Olaf nie wiederkommen würde.

Alfrun gab ihrer neugeborenen Tochter den Namen, den Olaf ausgewählt und in sein Kaufmannspatent eingetragen hatte. Obwohl Olaf überzeugt gewesen war, dass er einen Sohn bekommen würde, respektierte Alfrun seinen Wunsch und nannte das Kind Snorri.

Snorri wuchs im Kreis verschiedener Tanten, Onkel, Großmütter und Kusinen auf. Sie war ein fröhliches, lebhaftes Kind, und erst als sie mit dreizehn Jahren entdeckte, dass im Kaufmannspatent ihres Vaters sie als sein Nachfolger eingetragen war, wurde sie unzufrieden. Bis dahin hatte sie nie viel an ihren Vater gedacht, nun aber sehnte sie sich danach, seinem Beispiel zu folgen, auf seinen Spuren durch die Burg jenes kleinen regnerischen Landes jenseits des Meeres zu wandeln und vor allem in Sally Mullins berühmter Tee- und Bierstube ein Springo Spezial zu trinken. Und als Geisterseherin sehnte sie sich auch danach, seinen Geist zu sehen.

Alfrun Snorrelssen war entsetzt, als Snorri ihr von ihrer Absicht erzählte, im nächsten Jahr auf Handelsfahrt zu gehen. Sie warnte ihre Tochter vor den Gefahren auf See. Sie sei dafür noch viel zu jung. Außerdem sei sie ein Mädchen und Mädchen trieben keinen Handel. Und überhaupt: Was wisse sie denn über den Pelzpreis und die Qualität von Wollkleidung?

Snorri wusste nichts, aber sie konnte lernen. Und als ihre Mutter den Stapel Handbücher für Kaufleute fand, den sie unter ihrem Bett versteckte, und in den Kachelofen warf, schnappte sie sich Ullr, stürmte aus ihrer kleinen Holzhütte am Hafen und lief zur Alfrun. Ihre Mutter ahnte, wo sie war, ließ sie aber in Ruhe, weil sie glaubte, dass sie nach einer kalten, ungemütlichen Nacht auf dem Boot am nächsten Morgen reumütig nach Hause kommen würde. Doch am Morgen stach Snorri bei Ebbe in See und segelte bald mit Südwind an der Küste entlang, um ihre allererste Fracht aufzunehmen. Alfrun Snorrelssen war beunruhigt und schickte Snorri ein schnelles Ruderboot nach. Doch an diesem Morgen wehte eine steife Brise, und die Ruderer kamen zwar auf Sichtweite an das Boot heran, hatten aber keine Chance, es einzuholen. Ihre Tochter war fort, und Alfrun Snorrelssen machte sich schwere Vorwürfe.

Snorris Vater

Als Olaf Snorrelssen erfuhr, dass Alfrun ihr erstes Kind erwartete, war er außer sich vor Freude. Er ging mit seinem Kaufmannspatent ins Kontor des Handelsbundes und ließ sein erstes Kind, Snorri, als seinen Nachfolger eintragen. Und mit dem Versprechen, dass dies seine letzte Handelsfahrt sei, bis das Kind alt genug sei, ihn zu begleiten, stach Olaf Snorrelssen schweren Herzens mit seinem Boot in See.

Er traf spät in der Burg des kleinen regnerischen Landes jenseits des Meeres ein und bekam auf dem Händlermarkt keinen günstigen Stand mehr. Am Abend ging er ins Wirtshaus Zum Dankbaren Steinbutt (eine Lieblingsschenke der Kaufleute und direkt vor den Toren der Burg gelegen), um seine Sorgen zu ertränken, wie es unter Nordhändlern üblich war und was ihnen in den meisten Gasthäusern der Burg ein Lokalverbot eingebracht hatte. Als er allein über die Einwegbrücke zurückkehrte, geriet er ins Straucheln und stieß sich den Kopf am Geländer. Am nächsten Morgen wurde er von einem Bauern, der auf dem Weg zum Markt war, erfroren aufgefunden.

Der Geist Olaf Snorrelssens verweilte ein Jahr und einen Tag auf der Brücke, so wie es alle Geister am Schauplatz ihres Übertritts ins Geisterdasein müssen. Er zog es vor, niemandem zu erscheinen, doch es legte sich eine unangenehme Kälte über die Brücke, und viele behaupteten, dass sie immer ganz niedergeschlagen seien, wenn sie sie überquert hätten. Das Wirtshaus Zum Dankbaren Steinbutt musste beinahe schließen, weil die Leute nach Einbruch der Dunkelheit keinen Fuß mehr auf die Brücke setzen wollten. Sobald ein Jahr und ein Tag vorüber waren, schwebte Olaf Snorrelssen in die Schenke Zum Loch in der Mauer, und dort blieb er.

Die Alfrun

Die Alfrun lag die langen Wintermonate über am Quarantänekai, wo sie das freudlose Aussehen und den feuchten Geruch vernachlässigter Boote annahm. Als Jenna das Boot aufgespürt hatte, bat sie Jannit Maarten, es in die Bootswerft der Burg zu bringen. Doch bevor Jannit dazu kam, war die Alfrun verschwunden.

Wolfsjunge

Wolfsjunge fuhr mit dem rosaroten Schaufelboot über den Fluss, als er die Alfrun verlassen hatte, und begegnete Sam Heap, der lauthals lachte, als er sah, wie Wolfsjunge mühsam die Schaufeln des Bootes drehte. Im Lager der Heaps, in dem die anderen Heap-Brüder lebten, wurde er herzlich willkommen geheißen, und obwohl die anderen pausenlos über seinen Bootsgeschmack witzelten, freute auch er sich über das Wiedersehen. Doch er war darüber enttäuscht, dass es ihm nicht gelang, einen der Brüder dazu zu überreden, ihm bei der Suche nach Septimus zu helfen. Da er wusste, dass ihm seine Fähigkeiten als Fährtenleser nicht helfen würden, seinen alten Freund 412 zu finden, weil es keine Spur gab, die er hätte aufnehmen können, beschloss er, Tante Zelda um Rat zu fragen. Er fuhr mit seinem viel belächelten Schaufelboot den Fluss hinunter nach Port und ging dann zu Fuß auf dem Dammweg weiter, der in die Marram-Marschen führte. Hier waren seine Fähigkeiten als Spurenleser von Nutzen. Er folgte der Spur des Boggarts und gelangte sicher zu Tante Zeldas Hütte, wo er Jenna vorfand, die gerade durch den Königinnenweg gekommen war, um Tante Zelda die Silberpistole zurückzubringen.

Wolfsjunge blieb bei Tante Zelda. Sie gab es auf, ihm das Lesen beizubringen, und erzählte ihm von den Dingen, über die er wirklich mehr erfahren wollte – vom Mond und den Sternen, von Kräutern und Tränken und allem anderen, was mit weißer Hexenkunst zu tun hatte. Wolfsjunge war ein eifriger und gelehriger Schüler, und schon bald begann sich Tante Zelda zu fragen, ob es nicht möglich sei, mit der Tradition zu brechen und Wolfsjunge zu ihrem Nachfolger in der Hüterhütte zu ernennen.

Lucy Gringe

Lucy Gringe gelangte in Nickos Ruderboot wohlbehalten nach Port. Es war fast Mitternacht, und sie band das Boot an der Hafenmauer fest, wickelte sich in Simons Mantel und versuchte zu schlafen.

Am nächsten Morgen kaufte sie sich in der Hafenkonditorei eine Pastete. Maureen, der Besitzerin der Konditorei, fiel auf, wie blass und durchgefroren sie aussah, und bot ihr einen Platz am Ofen an, wo sie sich aufwärmen und ihre Pastete essen könne. Lucy war ausgehungert. In rascher Folge kaufte sie sich zwei weitere Pasteten und dazu drei Becher heiße Schokolade und schlief am Ofen ein, nachdem sie alles gegessen und getrunken hatte. Maureen ließ sie schlafen, und später bedankte sich Lucy dafür, indem sie Teller spülte und im Laden bediente. Maureen mochte Lucy und war dankbar für ihre Hilfe. Sie bot ihr ein Bett in der Küche und freie Kost an, wenn sie ihr weiter zur Hand ging. Lucy nahm das Angebot an, froh, eine warme, freundliche Bleibe gefunden zu haben. Außerdem kamen ständig Kunden in den Laden, die sie fragen konnte, ob sie Simon gesehen hatten.

Zu Lucys Enttäuschung hatte kein Kunde Simon gesehen, doch eines Abends, als sie bei der verlöschenden Glut des Feuers saß, sah sie in der Ecke eine Ratte an Krümeln knabbern, die sie beim Fegen übersehen haben musste. Lucy mochte Ratten und verjagte sie nicht, wie es Maureen eigentlich von ihr erwartete. Sie beobachtete die Ratte ein paar Minuten lang, dann flüsterte sie: »Stanley?«

Die Ratte erschrak. »Was ist?«, fragte sie.

»Stanley. Sie sind doch Stanley, nicht wahr?«, fragte Lucy. »Wissen Sie noch, wie ich Sie mit Keksen gefüttert habe, als Dad mich eingesperrt hatte – Sie sind etwas dicker geworden.«

»Sie sind auch nicht gerade gertenschlank, Lucy Gringe«, erwiderte Stanley, und das stimmte, denn Lucy konnte Pasteten nicht widerstehen.

Und so kam es, dass Lucy Gringe doch noch den Weg zu Simon Heap fand. Denn Stanley, ehemalige Botenratte und Mitarbeiter des Rattengeheimdienstes, kannte Simons Aufenthaltsort – obwohl Lucy erst nach ausgiebigem Aneinandervorbeireden, und nachdem sie sich viele Stunden lang Stanleys Erinnerungen hatte anhören müssen, herausfand, was genau er wusste. Der Winter hatte bereits Einzug gehalten, als Stanley sich endlich bereiterklärte, Lucy in die Ödlande zu führen, und so dauerte es noch bis zum Frühjahr, ehe sie sich tatsächlich auf den Weg machten. Im Spätfrühling waren Lucy und Simon endlich wieder vereint.

Septimus Heap 03 - Physic
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